Spätabtreibung: Auch der Vater leidet
Wenn Onur von seinem ersten Kind spricht, hat er Tränen in den Augen. Der Schwangerschaftsabbruch, für den sich seine Frau und er entschieden haben, hat ihn sehr mitgenommen. Seine Erfahrungen teilt er im Buch „Aus dem Bauch heraus. Pränataldiagnostik und behindertes Leben“ (Franz-Joseph Huainigg (Hg.), veröffentlicht 2010 bei Wiener Dom Verlag, ISBN: 978-3-85351-217-3).
Im Grunde war es anfangs nicht mehr als ein Gefühl, erzählt Onur. Seine Frau Dilek erwartete ihr erstes Kind und eines Tages beschlich sie das Gefühl, dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung ist. Onur nahm sie zunächst nicht ernst, aber als das Gefühl nicht und nicht verschwand, entschloss sich das Ehepaar, zur Abklärung zum Gynäkologen zu gehen. Der allerdings fand nichts Auffälliges, bot Onur und Dilek aber an, sie an einen Spezialisten zu überweisen.
BEFUND DOWN SYNDROME
Onur und Dilek nehmen das Angebot an. Die beiden gehen zu einem Arzt, bei dem sie sich sofort gut aufgehoben fühlen. Er scheint sie zu verstehen und klärt sie über die Möglichkeiten auf, die es gibt. Onur und Dilek entscheiden sich schließlich für eine Fruchtwasseruntersuchung. Nach rund einer Woche liegen die Ergebnisse vor. Der – für die beiden niederschmetternde – Befund lautet Trisomie 21, Down-Syndrom.
Onur weiß im ersten Moment gar nicht, was das bedeutet; hat keinerlei Vorstellung. Der Arzt versucht zu erklären, spricht Entwicklungsmöglichkeiten und Aussehen eines Kindes mit Trisomie 21 an. Obwohl er offensichtlich bemüht ist, ein objektives Bild zu zeichnen, ist Onur verzweifelt. Tief geschockt und am Boden zerstört fährt er nach Hause. Was soll nun werden?
Zunächst ist Onur sicher, dass er dieses Kind bekommen, dass er es in dieser Welt willkommen heißen will. Doch Dilek, seine Frau, sieht das ganz anders.
Mit ihren Kräften völlig am Ende, ist sie unfähig, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Sie will nur noch allem ein Ende setzen. Und das möglichst rasch.
VERABSCHIEDUNG VOM KIND
In der 20. Schwangerschaftswoche werden schließlich die Wehen eingeleitet, um die Schwangerschaft zu beenden. Als der kleine Junge auf der Welt ist, wird er in ein Tuch gehüllt und die Eltern dürfen sich von ihrem Kind verabschieden. Ein Angebot der psychologischen Beratung gibt es weder vor noch nach dem Schwangerschaftsabbruch.
Onur hat das Erlebte bis heute nicht wirklich verarbeitet. Immer noch zieht er sich Jahr für Jahr in der Todesstunde des Kleinen zurück, denkt an ihn. Onur will nicht vergessen. Ausgesöhnt, sagt er, sei er mit seiner Entscheidung für die Abtreibung nicht. „Aus seiner heutigen Sicht hat er ein Geschenk Gottes zerstört“, heißt es in dem Buch „Aus dem Bauch heraus“. Dort steht auch geschrieben, wie er ein zweites Mal entscheiden würde: „Anders.“
Die endgültige Entscheidung sieht er zwar immer bei der schwangeren Frau, aber dass das Thema auch den werdenden Vater mitnimmt und auch er eine Meinung und starke Gefühle dazu hat, weiß Onur jetzt. Er hat es erlebt.